Bereits während ihres Bachelorstudiums Physik in Mainz hatte Florina Schalamon begonnen, sich für die Arktis zu interessieren. Das erste Mal war sie dann im Masterstudium Meteorologie auf einer Polarexpedition. Ein Auslandsaufenthalt am Universitätszentrum Svalbard in Spitzbergen/Norwegen bot ihr ausreichend Gelegenheit zur Feldforschung. „Faszinierend war das und aufregend“, sagt die Wissenschaftlerin, die sehr gerne auf Expedition geht. Mittlerweile im Team von Jakob Abermann, Professor am Institut für Geographie und Raumforschung der Uni Graz.
Mit historischen Daten in die Zukunft schauen
Für ihre Dissertation untersucht Schalamon, wie sich verschiedene Klimafaktoren auf das Grönland-Eis auswirken und wie sich diese Zusammenhänge im letzten Jahrhundert geändert haben. „Das Eis auf der größten Insel der Welt hat maßgeblichen Einfluss auf die Höhe des globalen Meeresspiegels, weswegen es von großer Bedeutung ist, die Geschehnisse genau zu beobachten“, erklärt Schalamon. Bei ihren Forschungen kann sie auf einzigartige historische Daten des weltberühmten Meteorologen und Geophysikers Alfred Wegener zurückgreifen. Der Professor der Universität Graz hatte sie auf seiner letzten Grönlandfahrt gesammelt, bei der er 1930 ums Leben kam. Die beiden Expeditionsjahre fielen in eine außergewöhnlich warme Periode. Daher eignen sich die Aufzeichnungen gut für einen Vergleich mit aktuellen Messungen. „Wir wollen herausfinden, wie genau die Klimaentwicklungen die Gletscher beeinflussen und ob die gegenseitigen Wechselwirkungen über die Zeit stabil sind. Gerade vergleiche ich, welche Wettersysteme während der beiden Warmperioden wie oft vorherrschen und wie das die Lufttemperatur beeinflusst. Die hat natürlich immer Auswirkungen auf die Eismassen. Wenn wir diese Interaktion besser verstehen, lassen sich auch künftige Entwicklungen besser abschätzen“, so die Forscherin.
Schlechtes Klima für Polarforscherinnen
Polarforschung ist auf die wissenschaftliche Arbeit im Feld angewiesen. Im Vergleich zu Wegeners Zeit sind Expeditionen heute aufgrund des technischen Fortschritts mit weniger Strapazen und Gefahren verbunden. Herausfordernd sind sie aber nach wie vor, nicht nur wegen der rauen Natur. Ganz besonders für Frauen können hierarchische, patriarchal geprägte Strukturen und mangelnde Privatsphäre zu zusätzlichem Stress führen. Und so zu negative Erfahrungen, wie Florina Schalamon weiß. „Häufig erschweren unbewusstes stereotypes Rollenverhalten und mangelnde Wertschätzung Wissenschaftlerinnen ihre Arbeit. So gibt es etwa Fälle, dass Frauen automatisch zur Zubereitung der Mahlzeiten eingeteilt werden, während die Männer die gesammelten Daten sichten. Oder dass die Kollegen sie nicht in wissenschaftliche Gespräche einbeziehen“, berichtet Schalamon. Schließlich sei Alltagssexismus auch am Ende der Welt gegenwärtig, und manche für Frauen relevante Themen, wie beispielsweise die Menstruation, nach wie vor tabu. „Vier von fünf Kolleginnen machen im Feld schlechte Erfahrungen“, verweist Schalamon auf die internationale Umfrage, die sie gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen aus der Schweiz, Dänemark, Kanada, Australien, Irland und England durchgeführt hat. Die Autorinnen sammelten rund 320 Antworten von Polarforscherinnen aus aller Welt – die meisten jünger als 40 Jahre.
Es geht auch anders
In der Publikation werden auch konkrete Lösungsvorschläge aufgezeigt. Diese reichen von der Erarbeitung eines Verhaltenskodexes und entsprechenden Trainings bis hin zu einem Berichtssystem mit Konsequenzen bei Verfehlungen. „Wichtig wäre, bei der Auswahl der Expeditionsteilnehmer:innen möglichst auf Diversität zu achten sowie den Personen Gelegenheit zu geben, sich vorab kennenzulernen und so schon als Team zusammenzuwachsen“, ergänzt Schalamon. Dabei sollten neben den wissenschaftlichen Zielen auch wesentliche soziale und praktische Fragen geklärt werden: Wer übernimmt welche Aufgaben und in welchen Abständen wird rotiert? Wie gehen wir respektvoll miteinander um? Wie sprechen wir Probleme an? Welche Feedback-Möglichkeiten gibt es? Wer übernimmt die Rolle einer Vertrauensperson? Was essen wir? Wo pinkeln wir? Wo habe ich Privatsphäre? Wie gehe ich mit meiner Menstruation um? Wo schlafen wir? Kurzum: Was brauchen wir, um uns wohlzufühlen? Kommt es im Feld dennoch zu Verfehlungen, gelte es mit anderen darüber zu reden statt zu schweigen bzw. betroffene Kolleginnen zu unterstützen statt wegzusehen.
Die Studie Coming in from the cold: Addressing the challenges experienced by women conducting remote polar fieldwork ist in einer von der Association of Polar Early Career Scientists (APECS) und PLOS Climate organisierten Sondersammlung erschienen.