Was im zweiten Österreichischen Sachstandsbericht zum Klimawandel nachzulesen ist, macht den Ernst der Lage klar: Seit 1900 hat sich Österreich um rund 3,1 °C erwärmt – deutlich stärker als im globalen Schnitt. Setzt sich der derzeitige Trend fort, ist hierzulande bis zum Jahr 2100 mit einem Anstieg der mittleren Lufttemperatur um deutlich mehr als 4 °C im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu rechnen. In einem solchen Szenario würden sehr heiße Jahre, die früher etwa einmal pro Dekade auftraten, künftig fast zur Regel. Vor allem städtische Räume sind von diesen Veränderungen betroffen. Sie bedrohen aber auch die Artenvielfalt und die Stabilität von Ökosystemen.
„Vorsorgender Klimaschutz und Anpassungsmaßnahmen sind auf lange Sicht deutlich kostengünstiger als die Bewältigung der Schäden, die durch die Auswirkungen des Klimawandels verursacht werden“, sagt Karl Steininger vom Wegener Center für Klima und Globalen Wandel der Uni Graz. Der Klimaökonom koordinierte als Leitautor das Kapitel „Wirtschaft und Energiesystem“. Um die Klimaziele für 2030 und 2040 zu realisieren, brauche es rasch weitere Klimaschutzmaßnahmen. „Darüber hinaus sind zusätzlich Investitionen zwischen 6,4 und 11,2 Milliarden Euro pro Jahr erforderlich, um bis 2040 Netto-Null-Emissionen aus Energienutzung im Verkehr, in der Industrie und in den Gebäuden zu erreichen“, nennt Steininger konkrete Zahlen. Essenziell sei die Elektrifizierung von Industrie, Mobilität und Wärmebereitstellung bei gleichzeitigem Ausbau der Netze und einer Verdreifachung der Stromerzeugung aus Windenergie und Photovoltaik in den nächsten Jahren. In Industrie, Schwerlastverkehr und Luftfahrt würden zusätzlich klimaneutrale Energieträger wie nachhaltige Biomasse, Biomethan, grüner Wasserstoff und E-Fuels benötigt. „Maßnahmen zur Reduktion der Emissionen und zur Anpassung an den Klimawandel verstärken nicht nur die Resilienz, sondern können auch die Abhängigkeit von Energieimporten bis 2040 halbieren und die Lebensqualität in Österreich erhöhen“, unterstreicht Steininger weitere Vorteile.
Ilona M. Otto, Soziologin und Ressourcen-Ökonomin am Wegener Center der Uni Graz, hat als Leitautorin jenes Kapitel des Berichts koordiniert, das sich mit der Steuerung von Verhalten und Entscheidungen auf dem Weg zur Klimaneutralität befasst. „Das Netto-Null-Emissionssystem kann in Österreich bis Mitte des Jahrhunderts erreicht werden, weil wir über die notwendigen Technologien, Ressourcen, Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen. Um die notwendigen Veränderungen zu beschleunigen sowie einen gerechten und fairen Transformationsprozess zu gewährleisten, braucht es jedoch effektive Maßnahmen. Dazu gehören Regulierungen, Technologiestandards, der Ausbau von Infrastruktur zur Unterstützung eines kohlenstoffarmen Lebensstils, Anreize und in einigen Fällen die Beseitigung von Fehlanreizen sowie Sanktionen“, sagt die Forscherin. Österreichische Unternehmen würden bereits mit innovativen Technologien und erheblichen finanziellen Mitteln zur Emissionsreduktion beitragen. „Gleichzeitig gibt es aber auch viel Greenwashing und andere Formen irreführender Informationen, die die Bemühungen der Verbraucher:innen um einen umweltfreundlicheren Konsum untergraben“, gibt Otto zu bedenken. „Maßnahmen, die mehr Transparenz schaffen und negative Praktiken von Unternehmen reduzieren, könnten den Anteil klimafreundlicher Produkte in der Wirtschaft erhöhen.“
Der Zweite Österreichische Sachstandsbericht zum Klimawandel wurde nach den Methoden und Abläufen des Weltklimarats (IPCC) von über 200 Wissenschaftler:innen an mehr als 50 Institutionen verfasst. Mit rund 800 Seiten bildet er die bislang umfassendste wissenschaftliche Grundlage zum Klimawandel in Österreich. Ermöglicht wurde der Sachstandsbericht durch eine Förderung des Klima- und Energiefonds aus Mitteln des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Klima- und Umweltschutz, Regionen und Wasserwirtschaft.